Matthias versucht sich in vielen Berufen, testet unterschiedliche Studiengänge aus, von denen er zwei abschließt. Er hat viele Talente, kreative wie technische, und sein beruflicher Werdegang sieht auf den ersten Blick wie eine Schlangenlinie aus. Im Rückblick ist er jedoch erstaunlich gerade.
„Gödel, Escher, Bach“ – der Bestseller von Douglas Hofstadter, der 1985 in deutscher Übersetzung erscheint, beeindruckt auch Matthias zum Ende seiner Schullaufbahn. In gewisser Weise gibt das Werk die Richtung vor, in die er beruflich gehen will. Hofstadter verknüpft Bachs Kompositionen mit den Grafiken von M. C. Escher und dem Unvollständigkeitssatz des österreichischen Mathematikers Kurt Gödel – auf der Suche nach den Gemeinsamkeiten zwischen Musik, Logik, Geometrie, Molekularbiologie, Teilchenphysik, Linguistik, Philosophie, Zen-Buddhismus und künstlicher Intelligenz.
Diese Herangehensweise imponiert Matthias; sie zeigt einen alternativen Weg in der Wissenschaft auf. „Einerseits kann man sich auf das Detail eines Wissensgebietes einlassen und in die Tiefe forschen, also zum Spezialisten werden, verliert aber gleichzeitig den Überblick und wird unvollständig. Andererseits kann man sich vielen Gebieten widmen, also in die Breite forschen und zum Universalisten werden. Allerdings kann man dann nicht mehr alles genau, sondern nur noch oberflächlich betrachten.“ Eigentlich will er beides, das große Ganze und das detaillierte Wissen: „Letztendlich geht es um das Produkt aus Genauigkeit mal breite Menge, und das gilt es zu maximieren.“
Kunstlehrer ist Vorbild
Zwei Studienfächer kommen also in Frage: entweder die Physik, die für Detail und Tiefe steht, oder aber die bildende Kunst, die für das große Ganze steht. „Mein Ziel war damals allerdings nicht, freier Künstler zu werden, sondern Kunsterzieher.“ Gestützt wird dieser Entschluss durch das Vorbild seines langjährigen Kunstlehrers am Gymnasium, der bei Matthias einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt: „Er konnte mir mit seiner umfassenden Sichtweise eine Idee vom Leben vermitteln. Die meisten anderen meiner Lehrer waren auf die Schule beschränkt. Da dieser Lehrer eine so wichtige Person für mich war, dachte ich, dass auch ich eine wichtige Person für andere sein könnte.“
In die Fußstapfen seines Vaters und seines Großvaters zu treten, die beide als Bauingenieur tätig waren, kommt nicht in Frage. „Ich hatte von den Neigungen her zwar durchaus etwas Ingenieurmäßiges in mir, denn ich habe schon immer etwas gebaut, gebastelt oder konstruiert. Aber das passte auch gut zum Kunststudium.“
Vor dem Studium steht noch der Wehr- oder Zivildienst. „Ich war schon angemeldet für ein Beratungsgespräch, um mich auf die Kriegsdienst-Verweigerung vorzubereiten. Denn ich habe eine Abneigung gegenüber jeglicher Gewalt und allem Militärischen.“ Ein Brief seiner Schwester, die als Bibliothekarin in Wilhelmshaven arbeitet, bringt die Wendung.
Sie schreibt, von ihrem Bürofenster aus könne sie die Matrosen marschieren sehen. „Und da ist mir zum ersten Mal klar geworden, dass Deutschland überhaupt am Meer liegt. Nördlich von Bayern kannte ich nichts, und das Meer nur von Urlauben in Italien oder im damaligen Jugoslawien. Dass es im Norden noch eine deutsche Küste gibt, war mir überhaupt nicht präsent. Und es hat mich dann sehr gereizt, auf ein Schiff kommen und für einige Zeit im Bauch einer Maschine zu leben.“
Auf in die Karibik
Bei der Eignungsprüfung zur Marine hilft ihm sein mechanisches Verständnis, um die technischen Fragestellungen zu bewältigen. Und der Zufall. Denn der Psychologe, der an diesem Tag aus 350 möglichen Ausbildungslehrgängen die sechs Tauglichkeitsvorschläge für jeden Kandidaten auswählt, ist eine Urlaubsvertretung aus Wilhelmshaven. Hocherfreut über diese Landratte, die in seine Heimatstadt und aufs Wasser will, empfiehlt er Matthias für die Marine.
Auf der technischen Marineschule in Brake, wo Matthias seine Ausbildung erhält, fühlt er sich wohl. Die Grundausbildung mit der Waffe in der Hand und Geländeerfahrung dauert nur wenige Tage. Die Ausbildung zum Techniker ist umso ausführlicher: „Die Schiffe sind hochkompliziert und nicht ganz billig, und man sollte im Idealfall auch in der Lage sein, unterwegs etwas zu reparieren. Da ging es zum Beispiel um Starkstromtechnik, oder wir zerlegten große Dieselmotoren und lernten deren Funktionsweise direkt am Objekt; das war dann so interessant, dass sich auch das unbeliebte Militärische ertragen ließ.“
Da er mitbekommt, dass eine bestimmte Fregatte noch im selben Jahr in die Karibik ausläuft, bewirbt sich der junge Marinegefreite für dieses Schiff. Das Abenteuer ruft. Doch auf dem Schiff kommt erst einmal der Schock. Zwar gibt es wenig Hierarchien und abseits des öffentlichen Blicks wird wenig Wert auf militärischen Drill gelegt, doch mit den menschlichen Abgründen, mit denen er auf seiner schwimmenden Insel konfrontiert ist, hat Matthias nicht gerechnet.
„Damals war Alkohol auf dem Schiff nicht verboten, und außerhalb der Zwölfmeilenzone wurde er an Bord sogar zollfrei verkauft, ein Liter Schnaps für 2,80 Mark.“ Er erzählt haarsträubende Geschichten von Seeleuten, die jegliches Matrosenklischee übertreffen, von wilden Schlägereien und Prostituierten in den Auslandshäfen. Nach der Grenzerfahrung einer dreiwöchigen Sturmfahrt während des Herbstmanövers, bei Windstärke 9-12, mit Seekrankheit und Schäden am Schiff, fehlt nicht viel, dass er den Rest seines Wehrdienstes doch noch verweigern will. „Aber auch das ging vorbei, und die Karibik lockte. Ich blieb für den Rest der Zeit ein Einzelgänger und genoss die zwar seltenen, aber dafür umso beeindruckenderen Landgänge zwischen den langen See-Zeiten der Überfahrt und Manöverübungen. Mit meinem Rennrad, das ich zerlegt im Spind transportiert hatte, machte ich weite Touren in Mexiko, auf den karibischen Inseln, in Venezuela und Kolumbien.“
Irgendwann haben auch die 15 Monate Wehrdienst auf See ein Ende. „Eine Erfahrung, auf die ich im nachhinein trotzdem gerne verzichtet hätte. Das Abenteuer hätte man auch auf angenehmere Weise haben können.“
Wieder an Land
Der inzwischen 21-Jährige bewirbt sich noch während seiner Bundeswehrzeit einerseits für einen Studienplatz in Physik in seiner Heimatstadt, erstellt andererseits aber auch die für die Bewerbung an der Akademie der Bildenden Künste erforderliche Mappe und greift dazu auch auf Arbeiten aus Schulzeiten zurück: Radierungen, Gemälde, Modelle. Das übliche Prozedere einer Bewerbung für die Kunstakademie – Gespräche mit dem Lehrkörper vorab, Entscheidung für einen Professor und Vorbereitung auf das Aufnahmegespräch – kennt er nicht und eilt erst am letzten Tag der Abgabe in die Akademie. Dort muss er sich innerhalb von Minuten für einen Professor entscheiden und wählt eher zufällig einen Professor für Bildhauerei. Tatsächlich nimmt ihn dieser nach einer positiv verlaufenen Mappenschau, der üblichen praktischen Prüfung und dem darauffolgenden Prüfungsgespräch in seine Klasse auf.
„Die Entscheidung zwischen Physik- oder Kunststudium habe ich in dem Moment den Umständen überlassen. Als ich bei der Akademie angenommen wurde, war die Entscheidung gefallen. Zumal ich das Kunststudium als hochwertiger erachtete, denn da wurden ja viel weniger Studenten angenommen und die Hürden waren viel höher als bei Physik, wo es keine Zulassungsbeschränkung gab. Hätte ich nur den Studienplatz für Physik bekommen, wäre das auch in Ordnung gewesen, denn nach wie vor galt meine Maxime, dass das Produkt aus Intensität und Menge zählt, und nicht das eine oder das andere.“
Der Neustudent stürzt sich in die Arbeit und in die Kunst. Anleitung gibt es dort bewusst kaum, jeder macht, was er sich vorstellt. In den regelmäßigen Klassenausstellungen diskutieren vor allem die Studenten untereinander. Die Methode des Professors, jeden seiner Studenten erst einmal auszubremsen und in Frage zu stellen, in der Hoffnung, dass daraus etwas Neues entsteht, greift bei Matthias überhaupt nicht. „Im Prinzip war das ja eine Methode wie bei der Bundeswehr.“
Oder griff sie vielleicht doch?
Er fängt nämlich an, unabhängig von der Klasse zu arbeiten und in der Metallwerkstatt Maschinen zu bauen. Kunstmaschinen, Uhren mit großen Pendeln, die „sinnlos“ sind, aber technisch sehr präzise funktionieren. „Ich tat einfach das, was mir am besten lag. Ich habe gebastelt und geschraubt.“ Seine Arbeiten kommen sehr gut an, die Professoren lieben sie, und die praktischen Prüfungen für das Lehramt in Kunsterziehung macht er mit links. Schwieriger gestalten sich die nicht-künstlerischen Prüfungen, die fürs Lehramt ebenso erforderlich sind. In Psychologie besucht er ein paar Universitätsvorlesungen, Schuldidaktik und Pädagogik interessieren ihn dagegen überhaupt nicht. Mit Auswendiglernen und Standards pauken hofft er durchzukommen. Die erste mündliche Prüfung wird zum Desaster. In der nächsten, schriftlichen Prüfung wird er gar nicht erst fertig. „Die schlechte Note gleich am Anfang hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Bislang war ich immer der Überzeugung, ich sei der Größte und Schlaueste von allen. Und dann soll ich der Einzige sein, der durchfällt?“
Am Abend vor der mündlichen Prüfung in Psychologie leiht er sich von einer Wohnheimkollegin ein Fachbuch für Psychologie aus. Von seinen beiden Themenschwerpunkten, Entwicklung des Kindes und Gesellschaftspsychologie, liest er nur die Zusammenfassungen der Kapitel. „Mehr hat es nicht gebraucht. Die Prüfung lief super, ich erzählte, was ich in meinen Kästchen gelesen hatte, machte schöne Querverweise zwischen den Themen und alle waren glücklich. Ab da wusste ich, wie der Hase läuft.“
Viele Talente
Er besteht das Staatsexamen letztendlich als Jahrgangsbester, und die Zeit an der Akademie ist zu Ende. „Eine Schonzeit“, sagt er. Was absolut nicht bedeutet, dass er die ganzen Jahre nur als Maschinen bastelnder Student verbracht hätte. Da er sein Studium selbst finanziert, muss er ständig arbeiten. „Von meinem Wehrsold hatte ich mir einiges angespart. Pro Breitengrad vom Heimathafen entfernt gab es einen Zuschlag, und Geld gab ich als Soldat nicht aus. Also konnte ich mir eine erste Fotoausrüstung kaufen.“ Er lernt selbst zu entwickeln. Durch Jobs bei Ausstellungsaufbauten knüpft er Kontakte in die Kunstszene und beginnt, für Galerien und Künstler zu fotografieren. „Ein Freund von mir hatte an der Fotoschule eine Ausbildung zum Fotografen gemacht, bevor er an die Akademie ging. Von ihm habe ich viel gelernt, auch, welche Preise ich verlangen kann.“
Um immer auf dem neuesten Stand der Fotogerätetechnik zu bleiben, jobbt er in einem Fotoladen und repariert Kameras. Sein technisches Wissen im Hintergrund hilft. Er verdient gutes Geld und seine professionelle Fotoausrüstung wächst. Dank seiner Großformat-Kamera eröffnen sich neue Fotoaufträge, der Bekanntheitsgrad der Künstler, für die er fotografiert, steigt, ebenso die Gagen. Freiberuflich wird er außerdem zum Hausfotografen eines großen Konzerns, mit einem Assistenten macht er Fotos bei Terminen und Veranstaltungen, für die Werbung und den Geschäftsbericht.
„Finanziell lief es super, ich konnte mir sogar eine große Wohnung leisten.“ Zum alleinigen Beruf will Matthias die Fotografie jedoch nicht machen. Als ob er mit Studium und Fotografie nicht ausgelastet wäre, hilft er zusätzlich noch bei der Buchhaltung und EDV für das Café seiner Freundin und bedient dort die Espressomaschine. „Ich habe Tag und Nacht durchgearbeitet in dieser Zeit, aber es ging irgendwie.“
Sein Traum vom Dasein als Kunsterzieher hat sich inzwischen in Luft aufgelöst. Die Praktika in den Schulen zeigen ihm, dass die Realität als Kunstlehrer nichts mit seinen Vorstellungen zu tun hat. Brave Schüler, die ruhig vor sich hinarbeiten und im Kunstunterricht nichts hinterfragen, irritieren ihn. Das Blockpraktikum absolviert er in seiner alten Schule, an der er Abitur gemacht hat. Dort trifft er alle Lehrer von früher wieder und erkennt, wie sie im Laufe der Jahre ausgebrannt und gebrochen sind. „Ich dachte, nein, das will ich nicht. Das hat mit dem realen Leben nichts zu tun.“
Doch was nun? Umsonst studiert? Eine Denkweise, die Matthias völlig fremd ist. Um als Student versichert zu bleiben, schreibt er sich übergangsweise für „Logik und Wissenschaftstheorie“ ein, mit dem Ziel, ein in einem Jahr beginnendes Aufbaustudium zum Architekten aufzunehmen. „Meine Arbeiten in der Akademie waren immer größer geworden und haben sich immer mehr auf Räume bezogen, so dass mir Architektur eine passende Ergänzung erschien.“
Er nimmt sich vor, in der Wartezeit das technische Architekturwissen schon einmal selbst in Griff zu bekommen, und wechselt sein Studienfach zu Bauingenieurswesen. Das Fach, das er nie studieren wollte.
Als Mensch voller Energie hat er das Ziel, sein Vordiplom, das andere in zwei Jahren absolvieren, in diesem Übergangsjahr zu machen. „Ich hatte ein wahnsinniges Pensum, da ich jeweils das erste und dritte Semester und danach das zweite und vierte Semester gleichzeitig machte. Dabei habe ich fast keine Vorlesungen oder Seminare besucht, sondern mich nur zu den Prüfungen angemeldet und versucht, diese bestmöglich zu bestehen. Wie man Prüfungen besteht, hatte ich ja in meinem ersten Studium gelernt. Nun, es hat funktioniert. Obwohl ich bis zum Schluss Angst davor hatte, dass es vielleicht nicht zulässig sein könnte, mehrere Semester gleichzeitig zu machen. Und empfehlen kann ich es niemanden, denn ich hatte später so manche schlaflose Nacht, aus Angst, mein Fach nicht wirklich zu beherrschen.“
Und wieder kommt ihm der Zufall zu Hilfe. Ein ehemaliger Kollege aus der Akademie, inzwischen ein angesagter Künstler, übernimmt eine Professur für „Künstlerisches Gestalten in der Architektur“ und sucht einen Assistenten. Matthias. „Ich kam durch die Hintertür als Beobachter in den Studiengang rein, den ich ja im nächsten Jahr studieren wollte, und merkte, dass es hundertprozentig das Gegenteil von dem ist, was ich will. Dass Architekten eigentlich dem Bauherren untertan sind und möglichst billig bauen sollen. Am Schluss kleben sie noch eine Natursteinfassade davor, damit es nach etwas Echtem aussieht.“
Ärmel hoch und los
Mittlerweile gefällt es Matthias bei den Bauingenieuren immer besser. „Sie haben ein Problem – irgendetwas muss halten –, wissen aber erst einmal nicht, wie sie das erreichen. Also krempeln sie die Ärmel hoch und legen los. Wie muss die Konstruktion beschaffen sein, damit das Ergebnis besteht? Dieses Vorgehen hat mir sehr gut gefallen. In der Kunst ist es ja ganz ähnlich.“
Er macht weiter bei den Bauingenieuren, hat tatsächlich nach einem Jahr das Vordiplom in der Tasche und studiert zügig fertig. Seine anderen Jobs als Assistent, Fotograf und Barista gibt er auf. Für die Diplomarbeit sucht er deshalb ein bezahltes Thema. Einer der Professoren ist neben seiner Lehrtätigkeit noch Prüfingenieur. Er bietet Matthias eine Diplomarbeit aus seinem eigenen Büro an, ohne Bezahlung, aber mit der Garantie auf Weiterbeschäftigung nach dem Diplom. „Es ging um den Neubau eines Tunnels. Ich sollte ein neues Materialgesetz für Finite-Element-Berechnungen austesten und mit den Messungen in der Realität vergleichen.“ Während dieser Diplomarbeit lernt er, mit der entsprechenden Tunnelbau-Software umzugehen, Pläne zu lesen, Rechenergebnisse zu interpretieren. „Dort habe ich im Prinzip alles gelernt, was ich heute beruflich mache.“
Matthias bleibt beim Tunnelbau, wechselt irgendwann in ein aufstrebendes Ingenieurbüro, wird Leiter der Statik-Abteilung und wickelt große Projekte ab. „Hochbau wäre nichts für mich gewesen; da gibt es strenge Regelwerke, an die man sich sklavisch halten muss. Für mich muss jedoch immer etwas zum Denken und zum Basteln dabei sein. Bei jedem Tunnelbau gibt es etwas Neues.“
Seinen Traumberuf hat er gefunden. Dass er damit die Familientradition weiterführt, erstaunt ihn zu diesem Zeitpunkt immer noch. „Offensichtlich musste ich diesen Umweg gehen. Ich hatte mich nie dafür interessiert, was mein Vater beruflich macht, obwohl sein Büro zu Hause war.“
Aus alter Tradition bleibt es nicht bei einer Tätigkeit. Weil ihm das Berechnungsprogramm nicht fähig genug erschien, hatte Matthias schon während der Diplomarbeit angefangen, ein Computerprogramm zu schreiben. Ein früherer Kollege stellt den Kontakt zu einem Softwareunternehmen her, das gerade an einem Programm für Tunnelbau arbeitet. Begeistert von seiner Vorarbeit bietet man ihm eine Kooperation an: Matthias programmiert, das Unternehmen übernimmt den Vertrieb. Es dauert einige Jahre, bis die Software so viel Geld abwirft, dass Matthias die Selbstständigkeit wagen kann. Er steigt als programmierender Bauingenieur in Teilzeit bei der Softwarefirma ein und gründet gleichzeitig ein eigenes Ingenieurbüro für Tunnelbau. „Diese Zweigleisigkeit hat viele Vorteile: Ich muss nicht jeden Auftrag annehmen, sondern kann mir die Projekte aussuchen. Durch die praktische Arbeit als Tunnelbauingenieur weiß ich, welche Anforderungen die Software erfüllen muss. Durch das Programmieren bleibe ich auf dem neuesten Stand des technischen Know-hows. Andererseits habe ich ein Werkzeug an der Hand und kann die Software entsprechend gestalten, wenn ich etwas Besonderes berechnen muss. Inzwischen biete ich auch Schulungen sowohl in der Software als auch in Tunnelbau an.“
Ist Matthias am Ziel seiner beruflichen Suche angekommen? „Ich hatte kein Ziel, ich wollte nie irgendwo hin, es war immer ein Weg. Und es ist immer noch ein Weg, den ich möglichst gut gehen will.“ Mittlerweile kann er sich mit seinen Erfahrungen als Vater sogar vorstellen, wieder Lehrer zu werden, am besten Grundschullehrer. Oder Bauer? Gärtner?
Der Gedanke, dass er sich die fünf Jahre Kunststudium oder auch irgendetwas anderes in seinem Leben hätte sparen können, kommt nie. „Überhaupt keine Frage. Die Zeit war ganz wichtig. Ohne das wäre es für mich unmöglich gewesen. Gleich oder ‚nur‘ Bauingenieur zu werden, das hätte nicht geklappt. Außerdem ist aus jeder Phase etwas Schönes geblieben: Ich liebe die Physik und Kunst, segle gerne zusammen mit meinem Nachbarn am Ammersee, spiele mit Vorliebe Bach und trinke gerne Cappuccino …“
Sein Fazit: „Letztendlich gab es in meiner beruflichen Entwicklung viel Zufall. Allerdings waren die Möglichkeiten da, und ich habe mich im richtigen Moment auch getraut zu sagen: Das mache ich jetzt. Natürlich ist es für diese Entscheidungen sehr hilfreich, wenn man zweigleisig fährt. Man kann dann relativ leicht den Schwerpunkt verlagern oder sogar ein Bein – und das ohne großes Risiko – auf ein ganz anderes Gleis stellen.“
Fotocredit: Alle Fotos aus dem Fundus von Matthias