Fotografin, Ethnologin, PR-Expertin, Journalistin, Anzeigenverkäuferin, Krankenschwester. Der Berufsweg von Dorothea ist alles andere als klassisch. Und doch zieht sich eine rote Linie durch ihre wechselnden Professionen.
Etwas von der Welt sehen. Und etwas Kreatives machen. Diese beiden Vorgaben soll Dorotheas Idealberuf erfüllen, das weiß sie bereits als Jugendliche. Und so hat sie nach dem Abitur das klare Berufsziel „Fotografin“ vor Augen. Es ist der Kompromiss zwischen Handwerk und Kunst, ein Weg, sich bildlich und künstlerisch auszudrücken und trotzdem ihrer pragmatischen und bodenständigen Ader gerecht zu werden. „Ich wollte nie Hochzeiten fotografieren oder im Laden arbeiten und etwas verkaufen, sondern unterwegs sein, Fotos machen und vielleicht auch Artikel schreiben.“
Es passt, dass die ehemalige Hochschule für Gestaltung in Ulm den Rahmen für ihre Ausbildung gibt. Das Bauhausgebäude, wo schon Max Bill, Josef Albers und Otl Aicher lehrten, diente ab 1972 der Universität Ulm als Heimat, und an der Fotozentrale der Universität absolviert Dorothea gemeinsam mit drei weiteren Auszubildenden Anfang der 1980er Jahre ihre Lehre.
„Wir hatten viele Freiheiten“, erinnert sie sich. „Ich hätte es sicher nicht so genossen, wenn ich in einem normalen Fotogeschäft gelernt hätte. Aber an der Universität konnten wir vieles einfach ausprobieren und hatten ausreichend Zeit für unsere jeweiligen Aufgaben.“
Nach der Lehre meldet sich die frischgebackene Gesellin arbeitslos, doch bereits nach wenigen Tagen kommt der Anruf eines Fotografen, der Unterstützung braucht. Fast zwei Jahre bleibt sie dort. Inzwischen alleinerziehende Mutter einer kleinen Tochter, keimt der Gedanke, aus der Heimatstadt wegzugehen und aus den fast fünf Jahren Kontinuität auszubrechen. Was den Impuls auslöste, weiß sie heute nicht mehr. „Irgendwie habe ich mir gedacht, es wäre gut, rauszukommen.“ Sie zieht nach München, wo sie niemanden kennt.
Wieder hat sie Glück und bekommt gleich eine neue Stelle in einem Fotolabor. Doch der technische Schwerpunkt und die Vollzeitstelle bringen Dorothea zum ersten Mal an ihre Grenzen. „Ich hatte eine zweijährige Tochter, wohnte in einer Wohngemeinschaft und einen Job, der nur anstrengend und überhaupt nicht kreativ war. Das war kein gutes halbes Jahr.“
Die Rettung kommt in Form einer Halbtagesstelle im Fotolabor eines großen Verlages. Hier kann sie Luft holen, das Geld reicht zum bescheidenen Leben. Und das Labor braucht sie, denn im Zuge der anfänglichen Digitalisierung hatte man das Schwarz-Weiß-Labor abgeschafft, um dann festzustellen, dass manche Fotografen doch noch in dieser Technik fotografierten.
Die nächste Veränderung zeichnet sich ab, als die Tochter in die Schule kommt. Dorothea sucht nach einer neuen Herausforderung. „Ich hatte mich schon damals in meiner Gesellenzeit an den Hochschulen über ein Studium in Fotodesign informiert. Aber es wäre eine sehr aufwändige Mappe zu erstellen gewesen, und ich hätte nicht nebenher studieren können, schließlich musste ich arbeiten, um Geld zu verdienen.“ Als Halbtagskraft und mit Bafög ist das Studium nun doch möglich. Sie schreibt sich für Europäische Ethnologie ein, ein Fach, das sie interessiert und das an ihren Jugendwunsch nach Reisen und unbekannten Ländern anknüpft. „Ich dachte mir, probiere es einfach und mach, was dir Spaß macht. Erst einmal nur für mich, ganz egoistisch.“ Exakt an ihrem 30. Geburtstag beginnt sie zu studieren.
Viele aus ihrem Bekanntenkreis verstehen nicht, warum sie sich nicht in ihrem Beruf als Fotografin weiterbildet, sondern etwas anderes studiert. Für Dorothea sind die Beweggründe ganz offensichtlich: „Als klassische Fotografin im Geschäft wollte ich ja nie arbeiten. Man verdient wenig und hat äußerst undankbare Arbeitszeiten, abends, am Wochenende. Das, was ich ursprünglich wollte, reisen, unterwegs sein, ging nicht mit Kind. Eine andere Ausbildung hätte ebenfalls meinen Vollzeit-Einsatz erfordert. Und dass sich die Fotografie mit der Digitalisierung in einem großen Umbruch befindet, hat sich in den 1990er Jahren deutlich abgezeichnet.“ Ihr Gedankengang ist: etwas ganz anderes machen; es soll eine Weiterbildung sein; und es soll anspruchsvoll sein. Eine wichtige Eigenschaft kommt ihr zu Hilfe: ihre Zuversicht. Es ist nicht schlimm, wenn es nicht klappt. „Das machst du jetzt einfach mal.“
Während des Studiums hört sie auf, für den Verlag als Fotolaborantin zu arbeiten. In den Semesterferien übernimmt sie einen Job in einem Immobilienmaklerbüro. „Man sagte mir, wir könnten jemand brauchen, der hinterhertelefoniert.“ Da sie in der völlig neuen Aufgabe sehr erfolgreich ist, kommt bald ein weiterer Job in einem Pressebüro dazu, mit ähnlichen Aufgaben. Schnell etabliert sie sich in der PR-Welt als wichtige Mitarbeiterin und lernt mit Presse- und Marketingabteilungen und Journalisten umzugehen, Pressetexte zu schreiben, Veranstaltungen zu organisieren. Was als Studentenjob begann, entwickelt sich zum Beruf. „Irgendwann stand ich vor der Entscheidung, mache ich nun meinen Studienabschluss oder arbeite ich gleich ganz.“
Der Magistergrad macht das Rennen. Inzwischen ist Dorothea verheiratet, ein weiteres Kind ist unterwegs. Im Nebenher-Projekt beginnt sie, als freie Journalistin zu arbeiten – gut vereinbar mit Studium und Familie. Sie ist auch auf diesem Gebiet durchaus erfolgreich und veröffentlicht ihre Beiträge bald regelmäßig in einem Magazin.
Es folgt das Angebot, als PR-Betreuerin eines bekannten Geografen, Reisejournalisten und Fotografen zu arbeiten, der regelmäßig Vorträge hält und Bücher publiziert. Die ideale Kombination, um das Gelernte aus Ausbildung, Studium und Beruf anzuwenden. Zufrieden, dass sich in diesem Job so vieles vereint, was ihrem Können und ihren Interessen entspricht, bleibt Dorothea fünf Jahre dabei.
Dann ist sie nicht mehr bereit, für das geringe Honorar zu arbeiten, das ihr in dieser Zeit gezahlt wurde. Sie besinnt sich auf ihre Fähigkeiten als Akquisiteurin, hört von einem Tag auf den anderen als PR-Betreuerin auf und beginnt, Anzeigen für Fachmagazine zu verkaufen. Ihre Auftraggeber bescheinigen ihr viel Talent, aber die unbarmherzige Härte des Verkaufsgeschäfts schreckt Dorothea ab. Begabung ist eines, Begeisterung etwas anderes.
„Da war ich dann an dem Punkt angelangt, wo ich sagte: Jetzt ist es vorbei, ich muss etwas ganz anderes machen.“ Hinzu kommt, dass sie inzwischen geschieden ist, die Tochter die Schule beendet hat und flügge wird, der jüngere Sohn schon recht selbstständig ist.
Obwohl in ihrem bisherigen Berufsleben das Soziale nie im Blickpunkt stand, beginnt Dorothea eine Ausbildung zur Krankenpflegerin in einem Krankenhaus. Zieht in eine kleine Schwesternwohnung und absolviert drei Jahre Schwesternschule. Von vielen gleichaltrigen Kolleginnen kommen ihr Unverständnis und Skepsis entgegen. Damit kann sie jedoch gut umgehen, da sie mit ihrer Entscheidung im Reinen ist. Von ihrer Familie und guten Freunden erfährt sie Rückhalt. Ihre Schwestern halten die Wahl für einen sozialen Beruf für eine familiäre Prägung, schließlich war die Mutter bereits Hebamme, die ältere Schwester hat den gleichen Beruf ergriffen, und die jüngere Schwester ist Erzieherin. „Ich wollte auf einer ganz einfachen Ebene mit Menschen zu tun haben. Als Krankenschwester kann man Sinnvolles tun ohne viele Worte. Ich habe hier ganz deutlich das Gefühl von Ursache und Wirkung.“
Mit fast 50 Jahren lässt sie sich als ausgelernte Krankenschwester in der Palliativabteilung einsetzen. Schon bei der Berufswahl hatte sie erwogen, später in diesem Bereich zu arbeiten. Mit dem Tod umzugehen, ist für sie keine Schwierigkeit. „Der Tod kann auch gnädig sein“, sagt sie.
Derzeit ist sie in der Notaufnahme des Krankenhauses eingesetzt und genießt es, in einem eingespielten Team zu arbeiten. In leisen Momenten wird ihr bewusst, dass die Teamarbeit auch anstrengend ist – früher als Selbstständige traf sie die Entscheidungen alleinverantwortlich, nun muss sie sich in allem abstimmen.
Sie kann sich vorstellen, später in der Psychiatrie zu arbeiten oder in der medizinischen Betreuung von Kindern. „Das ist das Tolle an dem Beruf, dass man mit der gleichen Ausbildung in ganz verschiedenen Bereichen arbeiten kann. Ich könnte auch ins Ausland gehen.“ Ausgetestet hat sie diese Möglichkeit bereits bei einem zweimonatigen Einsatz als Pflegekraft in einem Krankenhaus in Israel.
Im Vergleich zu ihren früheren Berufen ist fast alles anders. „Ich habe alle meine Arbeiten gern gemacht und habe auch immer Befriedigung gefunden. Wenn ein Artikel gut war, konnte ich mich total freuen, oder wenn ich eine Anzeige verkauft habe, war das ein kleines Highlight. Aber jetzt bin ich näher dran am Menschen. Früher hatte ich ja oft nur am Telefon einen Gesprächspartner und sehr wenig direkten Kontakt mit anderen. Das ist jetzt ganz anders. Und das habe ich gesucht.“
Was ist übrig von ihren ursprünglichen Wünschen, etwas von der Welt zu sehen und kreativ zu sein? Sie haben sich erfüllt, allerdings nicht immer in beruflichem Zusammenhang, sondern oft als Privatperson. Und da ihr die Krankenpflege so viel Sinnhaftigkeit vermittelt, reicht es Dorothea inzwischen, ihre anderen Ziele in ihrer Freizeit zu verfolgen.
Fotocredit: Alle Fotos in diesem Beitrag wurden von Dorothea aufgenommen.